sinwald (2012)

sinwald: ungemischtes feuer
Historisches Elektronikkonzert mit Musik von Karlheinz Stockhausen und der Performance „Breathing Dress“ von Franziska Grohmann aka. Delhia in der Sporthalle Laplaystraße 11.

Es ist noch nicht so lange her, da hörte man Neueste Neue Musik prominent in Schulsporthallen. Dieses Konzert ist eine Hommage an diese Zeit mit Elektronischer Musik, die selbst historisch geworden ist, zwei Meisterwerke der 50er Jahre von Karlheinz Stockhausen in Vierkanal: „Gesang der Jünglinge im Feuerofen“ und „Kontakte“.

Das Publikum liegt oder sitzt bequem auf einer großen Ringerkampfmatte umgeben von Lautsprechern in der Sporthalle. Die ersten Klänge der Elektronik rauschen durch den Raum, bis heute faszinierend und fremd, wie von einem anderen Stern. Diese reinen Tapestücke der Pionierzeit werden durch einen Live-Act erweitert.

Delhia, Sängerin der Leipziger Band „Pentatones“ hat aus sich selbst eine Klangskultpur gemacht. Sie trägt ein selbst entworfenes Kleid, welches über remote-control auf ihre Stimme reagiert. Das Kleid besteht aus einer aufblasbaren Konstruktion von Fahrradschläuchen, die interaktiv zu ihrem Gesang auf- und abgeblasen werden. Es verändert somit ständig seine Form, Größe und Beschaffenheit in Reaktion auf die Musik – auf Parameter der Stimme, welche in Steuerdaten der Luftkammern übersetzt werden.

Somit trifft zeitgenössische Klangkunst auf historische Pionierelektronik, interaktive Liveperformance auf akribische Tonbandvorproduktion, welche in den Fünfzigern ja aus Bandsalat, mühseligem Schereschneiden und Kleben bestand.

Franziska Grohmann, Bettina Rücker (Kristallklangschalen),
Skulptur: Franziska Reinbothe
Klangregie (Stockhausen): Daniel Smutny (Festivalchef)

Mit Delhia und ihrem „interaktiven Kleid“ konnte ich leider nix anfangen. Die Musik von Stockhausen, die ich zum ersten Mal in 4-Kanalton gehört hab, hat doch dadurch nochmal ziemlich gewonnen. Das einige Leute unbedingt zwischendrin gehen mussten – wie vermutlich bei den Aufführungen in den 50/60er Jahren des vorherigen Jahrhunderts – war nicht wirklich zu verstehen. Heutzutage kann man ja mal googeln was einen erwartet. Störend ist, wenn junge Mütter unbedingt ihre Kleinkinder zu solchen Events schleppen müssen.

sinwald: 83 meeresdrachen mit gefolge

Komponiertes Konzert von Volker Staub für das „One-Earth-Orchestra“ in der Sporthalle Leplaystraße 11.

Volker Staub ist ein Erfinder von Musik fast schon rituellen Charakters. Er baut als Komponist selbst Instrumente wie meterlange Stahlsaiten, Steinspiele aus Bohrkernen oder Windorgeln aus PVC-Rohren. Er schreibt Stücke für Baumstämme, Glasglocken oder Motorsirenen. Und er baut Installationen wie etwa seine „Witterungsinstrumente“ (kleine, hoch sensible und verstärkte Klangerzeuger, die durch Umwelteinflüsse zum Klingen gebracht werden) oder riesige, hängende Metallplatten für das Musiktheater „Rheinrot“ an der Kölner Südbrücke.

In seinen Werken ist ihm der Bezug zum Menschen und der lebendigen Umwelt wichtig, wie auch das Ausloten der Wahrnehmungsleistung unserer Sinne. „Meine Kunst beinhaltet immer eine Sehnsucht und Suche nach Erkenntnis und Wahrheit auf der Grundlage der eigenen Gefühle, Gedanken und Erfahrungen – gestaltet in Klängen, Rhythmen und musikalischen Zusammenhängen.“ Dies erfordert eine radikale Anerkennung der eigenen Wahrnehmungswirklichkeit, die über eine wissenschaftlich abgesicherte Weltsicht hinausgeht und Subjektives, Emotionales, Archetypisches und Mystisches beinhaltet. In Sinwald haben wir erstmals und als Beginn einer größeren Tournee die Gelegenheit, sein neu gegründetes „One-Earth-Orchestra“ zu erleben.

Es vereint viele seiner musikalischen Ausdrucksformen, die durch die künstlerischen Persönlichkeiten seiner Mitspieler erweitert werden.

„Der Name des Ensembles ist eine Widmung an das einzige Paradies und die einzige Hölle, von denen wir wirklich wissen, dass sie existieren – an die Grundlage von allem bekannten Leben, die wir im Begriff sind zu zerstören.“

Lea Polanski (Flöte), Ruben Staub (Klarinette), Larisa Nagel (Violoncello), Eva Zöllner (Akkordeon), David Kuckherman (Perkussion), Volker Staub (Cymbalon, Stahlsaite, künstlerische Leitung)

Volker Staub, den ich bisher noch nicht kannte, war ziemlich interessant. Von reinen Percussion-Stücken, über „Klesmer“-artige Musik bis zu „Kurin“ für Akkordeon und Stahlsaite war es doch sehr vielfältig. Staub, der wegen der Muttis und ihrer Kleinkinder, ausdrücklich um Ruhe bat – es wurde ja alles aufgenommen – dürfte dies etwas bereut haben. Das Publikum hat sich kaum getraut zu applaudieren – wenn sie es dann allerdings taten, dann richtig.

sinwald: tiefseenougat

Soundwalk durch das Völkerschlachtdenkmal mit Musik von Luigi Nono und Hannes Seidl:

Das Ende der Sinwald-Reise ist das Einsteigen in das Sockelfundament und in die Krypta des Leipziger Völkerschlachtdenkmals. In kleinen geführten Gruppen werden die Expeditionsteilnehmer durch das Innere geführt, welches einen tiefen Eigenklang hat, bestehend aus Luigi Nonos berühmten „Post-Praeludium per Donau“ für Tuba und Live- Elektronik, gespielt von Robin Hayward (Kammerensemble Neue Musik Berlin) und der Raumklangkomposition „Zimmerrauschen“ von Hannes Seidl, gespielt vom Bassklarinettisten Volker Hemken (Gewandhausorchester).

Beide Werke werden unaufhörlich gespielt und schallen durch die Hallen und Gänge des Gebäudes. An unterschiedlichen Punkten des Denkmals werden sie wiedergefunden und transformieren sich dabei zu einem hypnotischen Zustand, einem Eigenklang der Tiefe und diskreten Erhabenheit, die als Gegensatz zum Gebäude wirkt und dieses zugleich in seiner Wirkung noch steigert.

Volker Hemken, Hannes Seidl, Robin Hayward, Egor Poliakov
Lichtinstallation: Robert Seidl

Zuerst ging es ins Sockelfundament des Völkerschlachtdenkmals wo Volker Hemken „Zimmerrauschen“ spielte. Naja, musikalich eher anstrengend und so brüchig wie der Beton, auf dem das 300000-Tonnen-Denkmal ruht. Anschließend ging es in der Krypta weiter mit Nonos Stück für Tuba. Hier wurde zu einer Lichtinstallation von Robert Seidel das musikalische Versprechen erfüllt: Post-Praeludium per Donau hat die Ruhmeshalle zum Klingen gebracht.

sinwald: sonnenuntergang

Sonnenuntergang

nachschlag

sinwald

sinwald

sinwald