Lutherweg Sachsen
Auf den Spuren der Reformation
2017 machte ich eine Radwanderung auf dem sächsischen Lutherweg. Der Lutherweg ist ein Wanderweg, der zu verschiedenen Stationen von Luther Wirken führt. Zum 500. Jahrestag des Thesenanschlags zu Wittenberg ging es 550 Kilometer durch Sachsen und auch mal kurz durch Thüringen.
Von Zwickau nach nach Altenburg (18. Mai 2017)
Am Morgen des 18. Mai 2017 lies ich es ziemlich ruhig angehen, schließlich ist der Lutherweg ein „spiritueller Wanderweg durch landschaftlich reizvolle Regionen“. 9.43 Uhr nahm ich die S-Bahn S5X und 11.00 Uhr war ich dann in Zwickau. Am Tag zuvor hatte ich noch ein paar Zettel von der Lutherweg-Website ausgedruckt, die zur groben Orientierung dienen sollten.
Nun galt es erstmal den Lutherweg zu finden. Ich fuhr mit dem Rad in Richtung Stadtzentrum, wo ich bei der 2002 wieder errichteten Postmeilensäule eintraf. Auch das Original hat es zu Luthers Zeiten noch nicht gegeben, sie wurden erst vor 200 Jahren aufgestellt.
Ein Stück weiter ist dann gleich der Zwickauer Dom: die Marienkirche. Ein seltsamer Anblick, denn die schief stehende Kirche wird von zwei großen ockerfarbenen Stahlträgern gehalten. Die Kirche droht es auseinanderzureißen und so wird seit einem halben Jahr das Fundament freigelegt, um die Kirche auf eine Stahlbetongründung zu setzen.
Vor 500 wirkte hier Johannes Sylvius Egranus, ein Freund von Martin Luther und ab 1520 auch Thomas Müntzer, der dann nachfolgend zur Zwickauer Katharinenkirche wechselte. Ab 1521 predigte Nikolaus Hausmann, der hier 1524 die erste Messe in deutscher Sprache hielt.
Vom Zwickauer Dom führt der Lutherweg an der Katharinenkirche vorbei nach Marienthal. Eigentlich wollte ich mit dem Fahrrad die Stadt schnell verlassen, aber die kleinen Schilder sind schnell zu übersehen und so schaltete ich einen Gang runter. Ähm, auf dem vorderen Kettenblatt.
In Marienthal wurde 1722 eine Kirche errichtet, um 1900 abgerissen und neu gebaut: die Pauluskirche. Diese Kirche machte 1989 von sich reden, denn hier fand das Zwickauer Friedensgebet statt, mit einem nachfolgenden Demonstrationszug zum Stadtzentrum. Luther hätte das sicher nicht gefallen, er war in Bezug auf die weltliche Macht ja eher sehr obrigkeitshörig, dass entspricht eher der Tradition der Zwickauer Propheten.
Von der Pauluskirche aus geht es nach Norden und nach ein paar Straßen steht man dann vor dem Südhang. Berge stehen in allen Religionen für Gottesnähe, auch im Christentum spielt sich einiges – von Abraham über Moses bis hin zur Bergpredigt – auf Erhebungen ab. Dann wollen wir das Fahrrad mal raufschieben. KGV Am Südhang – da raucht kein Dornenbusch, das sind nur die Würstchen auf dem Grill.
Oben auf dem Berg ein Blick zurück: Schon vor über eintausend Jahren sind hier Pilger, auf dem Weg zum Grab des Apostels Jakobus in der spanischen Stadt Santiago de Compostela, gewandert. Der Jakobsweg, der bekannteste Pilgerweg der Welt, auch Sternenweg genannt. Da das Konzept des Pilgerns ja einen Ablasshandel darstellt, ist es ja besonders witzig, dass der sächsische Lutherweg genau verkehrt herum auf dem Jakobsweg führt.
Nach einem Stück auf der Straße führt der Lutherweg nun in den Weissenborner Wald. An der Waldbühne machte ich eine Pause mit drei Schokoriegeln, die ich am Bahnhof in Zwickau gekauft hatte. Sie waren schon angeschmolzen, denn die Temperatur hatte inzwischen 26° erreicht.
An Bellmanns Brunnen soll, nach einer alten Sage, ein Vogelfänger namens Pöllmann am Biss einer Kreuzotter gestorben sein. 2017 lag da ein junger Mann auf dem Tisch vor der Holzhütte und schaute in den Himmel. Im ersten Moment glaubte ich einen Toten zu sehen. Beim Träumen erwischt schreckte er hoch und guckte etwas verwirrt, als ich das Fahrrad die Treppen hoch trug.
Nach dem Wald geht es auf kleinen Straßen weiter nach Crimmitschau. Bergauf, bergab. Ein bisschen Wandern, ein bisschen Radfahren. Vor fünfhundert Jahren wurden für Autobahnen, Landstraßen und Zugstrecken noch keine Berge abgetragen. Selbst kleine Reisen waren ein beschwerliches Unterfangen. Andererseits hatte Kolumbus bereits 25 Jahre vor Luthers Thesenanschlag Amerika entdeckt. Aber das einzig wirklich schöne Reisen ist auf einem fliegenden Teppich.
Über die Kirche Steinpleis – die gerade renoviert wurde – führt der Lutherweg weiter nach Crimmitschau. In Crimmitschau bekam ich einen leichten Zivilisationsschock. Nach dem beschaulichen Stunden im Wald und auf den ruhigen Dorfstraßen, radelte ich rasant durch den Ort und traf dann auf die Pleiße. Dort ging es am Ostufer nach Norden. Damit entging mir leider die Kirche St. Laurentius, die zu Luthers Zeiten entstand und mit dem Gustav-Adolf-Fenster auch Luther zeigt.
Die Kirche in Frankenhausen – heute ein Ortsteil von Crimmitschau – wurde um 1200 errichtet. Neben der Kirche befinden sich Reste des ehemaligen Klosters „Zur Heiligen Jungfrau Maria“ – ein Frauenkonvent, der sich an das Regelwerk des Zisterzienserordens anlehnte und 1292 entstand.
Nun entspricht der Lutherweg dem Pleißeradweg, den ich schon einmal gefahren bin. Es ist noch ordentlich hügelig und ich wanderte öfters und schob dabei das Fahrrad. Auch hier ein Blick zurück auf das Dorf und die Kirche Ponitz. Die Kirche hat eine der wenigen Silbermann-Orgeln, die außerhalb von Sachsen errichtet wurden. Außerhalb von Sachsen meinte das Herzogtum Sachsen-Altenburg – heute sind wir in Thüringen.
Ein kleiner Beobachter am Wegesrand erinnerte mich an den Altenburger Ziegenkäse, der allerdings weiter östlich hergestellt wird. Erstaunlicherweise enthält der Weichkäse nur ab 15 Prozent Ziegenmilch, dafür aber ordentlich Kümmel. Ob es zu Luthers Zeiten schon Ziegenkäse gab ist nicht bekannt, erstmals erwähnt wird er erst 1862. In den oberdeutschen Dialekten heißen die Tiere Geiß und Geißbock. Erst durch Luthers Bibelübersetzung hat sich „Ziege“ durchgesetzt.
Weiter auf dem Rad durch das Altenburger Lösshügelland. Maltis wurde 1188 erstmals erwähnt. Die evangelisch-lutherische Dorfkirche St. Anna entstand im 16. Jahrhundert und hat eine Poppe-Orgel, eine barocke Kassettendecke und geschnitzte Figuren an der Kanzel. Nach der Reformation siedelte der Pfarrer nach Saara um.
Dorthin führte nun auch der Lutherweg. Saara liegt am Einfluß der Sprotte in die Pleiße und hat einen Pfarrer. Die Saalkirche in Saara besitzt eine Uhr, die anstatt der Ziffern den Spruch „Nutze die Zeit“ trägt. Inzwischen hatte ich auch keine Lust mehr und beschloss in Altenburg die Tagesetappe zu beenden.
Dieser alte Weg, der sich von Zwickau über Altenburg und Leipzig bis nach Wittenberg schlängelt ist eine alte Reichsstraße, die von Rom bis nach Stettin führte. Die Via Imperii ist auch ein bekannter deutscher Pilgerweg. Über die Straße gelangte man nach Santiago de Compostela, aber auch nach Rom und Jerusalem. Man musste früher auch Zölle bezahlen, dafür gab es dann funktionierende Brücken.
Vor Altenburg kam ich dann leider vom Weg ab und gelangte nach Nobitz. Nach dem Bernsteinzimmer, dass einige dort vermuten, habe ich nicht gesucht. Eher nach Schatten. Ich fuhr nach Osten und kam endlich in Altenburg an. Dort schob ich erstmal das Fahrrad den Berg hinauf, um dann auf der anderen Seite mit einer rasanten Fahrt den Berg hinab zum Schloss zu fahren. Dann ging es weiter zum Bahnhof und mit der S-Bahn zurück nach Hause.
Von Altenburg nach Leipzig (19. Mai 2017)
Am Vormittag des 19. Mai 2017 fuhr ich mit der S-Bahn S5X nach Altenburg. Dort radelte ich wieder auf den Lutherweg. Da ich keine Lust hatte, am Altenburger Schloss den Berg hochzufahren, hielt ich mich auf der Straße in Richtung Remsa. Zwischendurch gab es leider eine kleine Straßensperrung, die ich aber einfach durchfuhr.
Nun ging es erstmal über eine Wiese, wo Fleckvieh fröhlich graste. Um ein paar Ecken und man steht vor dem Wasserschloss Windischleuba. Seit 1977 ist das Schloss eine Jugendherberge und als Schüler habe ich da mal übernachtet. Zuvor fährt man an der Nikolaikirche vorbei.
Nach dem Schloss folgt die Talsperre Windischleuba, die die Pleiße aufstaut. Hier rastete ich idyllisch bei Familie Schwan. Eine wirklich schöne Gegend.
Dann führt der Lutherweg durch den Wald, ein Stück die Landstraße entlang, zum Campingplatz Pahna. Neben der seltenen Beschilderung des Weges, hatte hier jemand mit grüner Sprayfarbe Pfeile gemalt.
Zur Zeit Luthers gab es in Deutschland bereits Bockwindmühlen. Die ganze Windmühle ist dabei drehbar auf einem Bock gelagert. Holländermühlen, bei denen sich nur der Dachteil dreht, wurde erst Ende des 16. Jahrhunderts entwickelt. Die Neuholländermühle in Wyhra mahlt aber nur Kaffee. Und leider nur am Wochenende.
Also weiter zur Wassermühle. Auch so etwas gab es schon zu Luthers Zeiten, allerdings nicht als Hotel herausgeputzt und nicht so romantisch, wie es vielleicht heute ausschaut. Im Winter fror die Mühle ein, im Sommer hatte sie kein Wasser, dazwischen schnell das Korn gemahlen. Leider sind zur Mühle kaum Informationen zu finden.
Übrigens, der erste Blick auf Zedlitz ist eine Postkartenidylle: der Wyhratalviadukt vor der Zedtlitzer Kirche. Und nach der Wassermühle gibt es Streetart: einen alten gebogenen DDR-Betonzaunspfahl, der abgeknickt und mit Mosaik versehen wurde. Da kann man bis Borna drüber nachdenken.
In Borna übernachtete vom 4. zum 5. März 1522, zu Aschermittwoch, ein gewisser „Junker Jörg“ bei seinem Freund Michael von der Straßen und schrieb einen Brief an den sächsischen Kurfürsten Friedrich. Er hatte sich ein Jahr lang auf der Wartburg versteckt, da er exkommuniziert und für vogelfrei erklärt worden war. Dort hatte er das Neue Testament ins Deutsche übersetzt. 220 Seiten in nur elf Wochen. Vermutlich hellgrünes Papier.
Dabei erfand er zahlreiche Worte, die sich bis heute in unserer Sprache gehalten haben: Feuertaufe, Bluthund, Selbstverleugnung, Machtwort, Schandfleck, Lückenbüßer, Gewissensbisse, Lästermaul und Lockvogel. Auch Redewendungen wie „Perlen vor die Säue werfen“, „ein Buch mit sieben Siegeln“, „die Zähne zusammenbeißen“, „ausposaunen“, „im Dunkeln tappen“, „ein Herz und eine Seele“, „auf Sand bauen“, „Wolf im Schafspelz“ und „der große Unbekannte“ gehen auf Luthers Bibel zurück. (zusammengetragen von Jan von Flocken)
Borna war übrigens die erste Stadt auf sächsischem Boden in der evangelisch gepredigt worden ist. Martin Luther persönlich hatte 1519 Wolfgang Fusius nach Borna vermittelt.
Der Wyhratalradweg ist übrigens eher langweilig. Es geht immer schön an der Bundestraße B 176 entlang. Und in Neukieritzsch war leider die Pleißebrücke gesperrt, so das ich über Lippendorf weiter fuhr.
In Lippendorf wurde Katharina von Bora geboren, die 1525 Luther in Wittenberg heiratete. Luther kaufte 1540 für Katharina Luther als Witwensitz das Gut Zöllsdorf bei Kieritzsch (gedacht zur Altersversorgung). Das Gut musste 1990 dem Tagebau Peres weichen. Ein Gedenkstein in Neukieritzsch erinnert heute an die Luthers.
An der langen S71 ging es dann nach Zwenkau – vorbei am Kraftwerk Lippendorf, wo der Strom und Wärme für Leipzig erzeugt wird. In Zwenkau fuhr ich dann zum Rundweg des Zwenkauer Sees, einer alten Braunkohlegrube. Von dort ging es durch die Neue Harth nach Gaschwitz. Die Neue Harth ist ein überbaggertes Waldgebiet, welches wieder aufgeforstet wurde.
In Gaschwitz fuhr ich dann auf dem Pleißeradweg weiter nach Leipzig. Der Lutherweg verläuft etwas anders, aber im Leipziger Südraum ist eh nichts mehr original: da wurden Flüsse begradigt, umgelegt und Dörfer überbaggert. Dann auch noch am Wildpark eine Umleitung des Pleißeradweges.
Die Reformation hielt Pfingsten 1538 in Leipzig Einzug, als Justus Jonas mit Luther zu Pfingsten in der Leipziger Nikolaikirche predigte. Später hielt Jonas in der Eislebener Andreaskirche die Leichenpredigt auf Luther. In Leipzig ist derweilen der Bärlauch am Blühen, der bereits im Mittelalter gegessen oder zum Teil auch als Arznei verwendet wurde.
Von Leipzig nach Eilenburg (11. Juni 2017)
In Leipzig fand die „Leipziger Disputation“ statt – ein Streitgespräch zwischen Vertretern der katholischen Lehre (u.a. Johannes Eck) und der reformatorischen Lehre (u.a. Martin Luther). Getroffen hatte man sich im Pleißenschloss, das Markgraf Dietrich gebaute hatte. Übrigens haben ihn die Leipziger dafür vergiften lassen.
Die Disputation führte zur endgültigen Spaltung. Zwanzig Jahre später hielt Luther in der Schlosskapelle die erste evangelische Predigt. Nochmal neun Jahre später wurde das Schloss abgerissen und die Pleißenburg errichtet. Nach weiteren hundert Jahren (und einem dreißigjährigen Krieg) wurde das Gebäude Chemie-Labor und Sternwarte. Dann wurde auch die Pleißenburg abgerissen und an deren Stelle das Neue Rathaus gebaut.
Zu Pfingsten 1539 predigte Martin Luther in der Leipziger Thomaskirche. Dafür hat er ein buntes Fenster bekommen, wo er mit Kurfürst Friedrich dem Weisen von Sachsen und Philipp Melanchthon dargestellt ist. Am Denkmal eines Chorleiters vorbei, führt der Lutherweg nun zum Leipziger Marktplatz, wo ihm zu Ehren ein Fest gefeiert wurde. „Sing Ye Praises to Our King“ von Aaron Copland, gesungen vom Bach Choir Houston.
Natürlich findet auch das Bachfest im Zeichen der Reformation statt. Nun ging es weiter, an Nikolaikirche und Oper vorbei nach Norden entlang der Parthe aus der Stadt. In Plaußig treffen sich der Äußere Grüne Ring, der Parthe-Mulde-Radweg und die Via Imperii. Luther ist hier auf jeden Fall durchgekommen. Die Kirche stand damals aber noch nicht.
Der Lutherweg führt nun immer nach Nordosten. Der nächste Ort ist Seegeritz. Der Ort ist für seine Pappeln berühmt, der Fußballverein trainierte sogar in der „Pappelarena“ bzw. dem „Ernst-Pappel-Stadion“. Ein Großteil der Pappeln von 1949 musste leider in den letzten Jahren gefällt werden.
Mal laufen, mal Rad fahren – viel Sonne. Da in Leipzig eine Beschilderung des Lutherweges nicht vorhanden ist, freute es mich um so mehr, nun einen gut ausgezeichneten Weg vorzufinden. Kurz nach Jesewitz verfehlte ich aber trotzdem den richtigen Weg und landete stattdessen in einer Kirschbaumallee. Hier stellte ich fest, dass ich etwas hungrig war.
Nun ging es noch mit der Handy-Navigation zum Eilenburger Bahnhof und dann mit der S-Bahn zurück nach Leipzig. Leider hatte ich mir mit den neuen Schuhen ein paar ordentliche Blasen gelaufen, die ich liebevoll „Stigmata“ taufte. Dadurch verzögerte sich die Fortsetzung der Luther-Radwanderung um einen Extra-Tag.
Von Eilenburg nach Torgau (14. Juni 2017)
Am 14. Juni ging es nun mit der S-Bahn zurück nach Eilenburg. Die „Stigmata“ hatte ich mit Pflastern zugeklebt und alte eingelatschte Adidas Samba angezogen. Halb Eins stand ich vor dem Bahnhof und radelte erstmal zurück zum Lutherweg.
Luther war auf seinen Reisen nach Leipzig, 1519 zur Leipziger Disputation und 1539 zur Reformationseinführung, über Eilenburg angereist. Er predigte auch mehrfach in Eilenburg. Durch Eilenburg führt, auf der Via Regia, auch ein Jakobsweg, der aber nicht ausgeschildert ist. Die Via Regia nannte man zu Luthers Zeiten „Hohe Landstraße“.
Nach Eilenburg führt der Lutherweg erstmal in den Wald. Ein Umweg der sich aber lohnte: ein Mäusebussard lies sich beim Chillen fotografieren. Ein Stück weiter, in Hainichen, hat eine Weißstorch-Familie ihr Nest. Sie kamen über die Balkanroute und dem Nahen Osten aus Afrika. In Deutschland betreiben sie eine eigene Gaststätte unterhalb ihres Nestes.
Kurz vor Hohenprießnitz steigt man dann auf einem sehr schmalen Weg zur Mulde hinunter. Ich konnte kaum neben dem Fahrrad laufen. Noch ein paar Meter durch die Brennnesseln und man steht an der Mulde-Fähre, die nach dem gegenüberliegenden Ort Gruna benannt ist. Der Lutherweg bleibt auf der linken Muldeseite und führt nun am Schloß Hohenprießnitz und dem Park Hohenprießnitz vorbei. Das Schloss wurde ab 1699 vom Schlossbaumeister Hermann Korb errichtet.
Ich radelte gemütlich weiter durch Hohenprießnitz, Brösen, Badrina und Reibitz nach Löbnitz. Übrigens ist 2017 nicht nur der 500. Jahrestag der Reformation, sondern auch der 200. Jahrestag der Fahrraderfindung. 1817 erfand der Forstbeamte Karl Drais sein Laufrad. Daraus wurde dann im Laufe der Zeit das Fahrrad.
Dazu gibt es übrigens die sogenannte Tambora-Legende: 1815 brach in Südostasien der Vulkan Tambora aus. Dadurch verdunkelte sich der Himmel in Europa, führte zu Hafer-Missernten und die Menschen konnten sich kein Pferdefutter mehr leisten. Dadurch kam Drais auf die Idee, ein muskelkraftbetriebenes Fortbewegungsmittel zu erschaffen.
In Löbnitz kaufte ich in der Landfleischerei Wiener Würstchen. Luther war mehrfach zu Gast beim Löbnitzer Kirchenpatron Ernst von Schönfeldt. Seine Frau war aus dem Kloster in Nimbschen geflüchtet und kannte Katharina von Bora, die Frau von Luther. Der Lutherweg führt nun am Flughafen vorbei zurück zum Wald und dann wieder nach Osten zum Wasserschloss Schnaditz.
Zu Zeiten von Martin Luther hat der Schlossherr, Gunther von Zaschnitz, im Nachbarort Wellaune dem Händler Kohlhaase ein paar Pferde gestohlen. Heinrich von Kleist hat in „Michael Kohlhaas“ die Geschichte vor dem Vergessen gerettet. Hinter der Tür mit den beiden Sichtschlitzen war emsiges Treiben zu vernehmen.
Vielleicht wird das Wasserschloss ja doch noch gerettet. Gerettet haben sich, ein Stück weiter, ein paar Gänse, die durch eine gemeinsame Kraftanstrengung, aus ihrem Gehege flüchteten. Der Lutherweg führte nun auf dem Mulderadweg nach Bad Düben. Die Strecke war ich schon einmal anders herum gefahren.
Den Muldeübergang bei Düben hat Luther auf dem Weg von und nach dem Süden mehrfach benutzt. Heute steht dort eine blaue Brücke mit beidseitigem Radweg. Ein fast 500jähriger Baum, Lutherlinde genannt, wurde leider 1964 ein Raub der Flammen. Auf der Burg, die ein paar Jahre vor Luthers Geburt vollständig zerstört wurde, wurde der Rechtsstreit von Kohlhaase verhandelt.
Von Bad Düben bis Torgau führt der Torgische Weg. Der Radverbindung zwischen Mulderadweg und Elberadweg ist 40 Kilometer lang und nicht wirklich in Brandenburg-Qualität. Inzwischen war es leider schon 18.00 Uhr. Ich radelte also etwas schneller. Dafür, dass ich erst Mittag gestartet war, lag ich aber gut in der Zeit.
Nächster Ort war dann Authausen. Dort gibt es eine schöne Feldsteinkirche, deren romanischer Ursprung (vermutlich im 12. oder 13. Jahrhundert erbaut) noch erkennbar ist. Die Wegbeschilderung war dafür nicht immer erkennbar und so musste ich doch noch mal das Handy anschalten.
Das nächste Highlight auf dem Torgischen Weg ist zweifellos der 1957 errichtete Funkturm in Roitzsch. Der Funkturm, eines der höchsten Gebäude weit und breit, war früher Teil der Richtfunkstrecke Südwestring – und wohl für Fernsehübertragungen gedacht.
Etwas kleiner ist die Pfarrkirche Roitzsch, dafür stand sie bereits zu Luthers Zeiten (erbaut im frühen 13. Jahrhundert). Im Ort verpasste ich den richtigen Abzweig und musste wieder das Handy auspacken. Ich beschloss dann einfach die Torgauer Straße weiterzufahren und sparte so zwei Kilometer ein.
Diese Straße ging immer geradeaus, war dafür etwas holperig. Schließlich gelangte ich nach Süptitz, wo eine Entenfamilie gegenseitige Federpflege betrieb. Die ließen sich auch von durchreisenden Radfahrern nicht stören. Luther besuchte 1535 die Kirche Süptitz auf der Durchreise.
Im nachfolgenden Zinna gibt es auch eine Kirche, die aber zu Luthers Zeiten noch nicht stand, da der kleine Ort mit seiner Kirche im Dreißigjährigen Krieg zerstört wurde. Entlang der Bundesstraße fährt man nun nach Torgau. Dort gibt es das Fort Zinna mit einer langen Geschichte: Wehrmachtgefängnis, sowjetische Speziallager und heute Justizvollzugsanstalt.
Auf der Dommitzscher Straße ging es direkt zum Bahnhof, leider stand ich auf der falschen Seite und kam nicht über die Gleise. Nach einem kleinen Umweg, war ich dann am Bahnhof und fuhr mit der S-Bahn wieder nach Hause. Die Tagesetappe hatte ungefähr hundert Kilometer.
Von Torgau nach Wurzen (8. Oktober 2017)
Am 8. Oktober 2017 brach ich zur nächsten Etappe auf dem Lutherweg auf. Mit der S-Bahn S4 ging es für 9 Euro über Eilenburg nach Torgau und gegen 9 Uhr war ich dann wieder am Lutherweg. Torgau begrüßte mich mit einem Regenschauer. Mit Nieselregen sollte es auch die kommenden fünf Stunden weitergehen.
Wegen des schlechten Wetters und dem Sturm „Xavier“ hatte ich die Weiterfahrt mehrfach verschoben. Nun, am letzten Urlaubstag, wollte ich wenigstens noch ein paar Kilometer fahren.
Torgau feierte die Festtage zur Weihe der Schlosskapelle. Martin Luther hatte den ersten protestantischen Kirchenneubau am 5. Oktober 1544 eingeweiht. Sonntag früh war natürlich noch nichts los. Historisches Markttreiben? Falscher Markt, aber Rummel geht immer.
Am Schloss Hartenfels führt der Lutherweg etwas später vorbei. Das Schloss war zu Luthers Zeiten eine Art Dauerbaustelle, ähnlich der Großprojekte in heutiger Zeit. Die Bären gab es auch schon damals. Der erste Bärengraben wurde 1452 angelegt. Heute wohnt dort Jette mit Bea und Benno.
Der Lutherweg führt nun südlich zum Forst Pflückuff, wo eine Schulklasse von ihrer Lehrerin gezwungen wurde, Hügelgräberschilder aufzustellen. Die dazugehörigen Hügelgräber sind aus der Bronzezeit, man hat aber noch nicht heraus bekommen aus welcher. Also irgendwie 2000 bis 750 vor Christus. Auf einem Hügelgrab steht dann auch noch ein Gedenkstein für Gefallene des ersten Weltkrieges. Wenigstens sind die Schilder bunt.
Die Etappe hatte übrigens weniger etwas mit Wandern oder Radwandern zu tun, eher mit Schlammwaten. Der tagelange Regen hatte die Wege völlig aufgeweicht und oft musste ich im Stehen durch die Pfützen schlittern. Dazu hatte Sturm „Xavier“ ganze Arbeit geleistet: umgestürzte Bäume und Sträucher, sowie herumliegende Äste und Kiefernzapfen.
Richtig verwirrend fand ich einen halben Hasen. Die Hälfte mit den Hinterläufen lag auf dem Weg, der Rest verschwunden. Wer oder was war das? Aus dem Wald heraus, bekam ich wieder den Nieselregen ab und verfuhr mich auch noch um zwei Kilometer. Also wieder zurück und irgendwie gelangte ich dann auch nach Schildau.
Ob die kleine Stadt wirklich der Ort der Schildbürgerstreiche ist, ist nicht bekannt. Aber die Geschichten stammen aus der Zeit Luthers. Der erste bekannte Druck ist von 1597.
Wahrzeichen der Stadt ist die Marienkirche die um 1170 als dreischiffige Basilika erbaut wurde. Auf dem Gelände der Kirche steht auch ein Baum, der ein Jahr nach dem Thesenanschlag von Luther gepflanzt wurde. Er ist der älteste Maulbeerbaum Deutschlands und wird 2018 fünfhundert Jahre alt.
Das heutige Schildau präsentiert sich mit einer Pferdesportarena. Im September fanden dort zum zweiten Mal die Süddeutschen Mannschaftsmeisterschaften der Ein- und Zweispänner Ponys und Pferde statt. Die Hindernisse auf dem Parkour sind übrigens Schildbürgerstreichen nachempfunden.
Von Sitzenroda fährt man an der FFW und dem Quellentalspatzen-Kindergarten vorbei und verpasst fast die schlichte Kirche auf der anderen Straßenseite. Der kleine Ort hat alles überlebt: die Reformation, den 30jährigen Krieg, die Pest, die Hexenverfolgung, den Absturz zweier MiG-21 der NVA und den Besuch eines Radfahrers aus Leipzig.
Wieder Wald: Aufgeweichte Wege und sturmgefällte Bäume – die Dahlener Heide. Hier gibt es die Quelle der Dahle, die Landesbuche, die Jägereiche, ein Weißes Haus und einen buckeligen Findling. Nachdem man den Wald verlassen hat, führt eine kleine Treppe zum Hasendenkmal, welches an den Besuch von Brehm („Brehms Tierleben“) erinnern soll. Nach dem halben Hasen eine Stunde früher ein wenig seltsam.
Nach Meister Lampe biegt der Lutherweg nach rechts ab und führt nach Heyda. Das Gut Heyda sieht recht schmuck aus. Die Familie von Carlowitz hat den Besitz 1990 zurückerworben und das Schloss saniert. Übrigens war es Hans Carl von Carlowitz, der nach dem 30jährigen Krieg in seinem Werk „Sylvicultura oeconomica“ die nachhaltige Forstwirtschaft erfand.
Im nächsten Ort, Dornreichenbach, hätte Hitchcock seinen Film „Die Vögel“ drehen können. In den Wipfeln der Bäume schnatterten hunderte von Vögeln, die aber kaum zu erkennen waren. Sie schlugen sich die Bäuche mit Fallobst – insbesondere Birnen – voll. Um sich für die Winterreise zu rüsten? Ich hüpfte mal hoch und erntete auch eine Birne.
Übrigens hatte ich nach Heyda einen Abzweig verpasst und machte einen kleinen Umweg über Meltewitz. Mein Handy, dass ich auf der Zugreise nach Torgau noch mal schnell aufgeladen hatte, war nun leider leer. Ich hatte nur noch die Übersichtskarte, die ich zu Hause aus Webseite vom Lutherweg Sachsen zusammengeklebt hatte.
Ab Dornreichenbach wurde es aber wieder etwas einfacher, denn der Lutherweg entspricht nun dem sächsischen Jakobsweg der nach Wurzen weiterführt. Neben weiteren Birnenbäumen hatte jemand Bibelsprüche, natürlich aus der deutschen Lutherbibel, an die Bäume getackert. Ich war dann eher müde und matt. Inzwischen schien aber wenigstens die Sonne und der Nieselregen hatte endgültig aufgehört.
Nach Körlitz verpasste ich wieder einen Abzweig – da fehlte wohl das Schild – und fuhr dann entlang der B6 nach Wurzen und von dort mit einer künstlerisch gestalteten S-Bahn nach Hause.