Eine kleine Radtour am 29. und 30. April 2014 entlang der Unstrut. Die Unstrut ist 192 Kilometer lang. Sie entspringt im thüringischen Eichsfeld und mündet bei Naumburg in Sachsen-Anhalt in die Saale.
Auch diese Reise startete mit der S-Bahn Mitteldeutschland. 6.16 Uhr fuhr am Haltepunkt Wilhelm-Leuschner-Platz die 5X nach Halle. Das ist, im Gegensatz zur 3, eine Schnellverbindung. Die Bahn hält nur an der Leipziger Messe und am Flughafen. Dort ging es auf Bahnsteig 3 weiter. Leider gab es dort keine Kaffeeautomaten. Ich fuhr 7.04 Uhr mit dem RE 4652 auf der Bahnstrecke Halle-Kassel. Diese Strecke kannte ich noch nicht. Interessant war der 875 Meter lange Blankenheimer Tunnel und der Kyffhäuser mit seinem Denkmal.
In Leinefelde stieg ich dann in die RegioBahn 16207 um. Vorher trank ich noch einen Kaffee beim Bäcker im Ort. 9.27 Uhr war ich dann in Silberhausen. Ein Sachsen-Ticket gilt leider wochentags erst ab 9.00 Uhr und dann wäre ich erst am Nachmittag angekommen. So bezahlte ich 33.70 Euro.
Vom Bahnhof fuhr ich auf dem Unstrut-Radweg sieben Kilometer nach Westen zur Quelle der Unstrut in Kefferhausen. Die Quelle entspringt an einem gemauerten Steinportal. Daneben ist ein Rast- und Spielplatz. Hier beginnt nun auch der Unstrut-Radweg. Die seltsamen Markierungen am Wegesrand sind das Loccumer Zisterzienserkreuz. Hier führt ein 300-Kilometer-Pilgerweg entlang, der die ehemaligen Zisterzienserklöster Loccum und Volkenroda miteinander verbindet.
Am Ortsausgang von Kefferhausen überquert die Bahnstrecke Leinefeld-Treysa den kleinen Unstrut-Bach und die Straße. Die Bahnstrecke war Teil der sogenannten Kanonenbahn. Das war eine militärstrategische Eisenbahnstrecke von Berlin nach Metz. Metz (damals Reichsland Elsaß-Lothringen) gehörte nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 zu Deutschland. Die Straße wird am Viadukt so schmal, dass eine Ampel den Verkehr wechselseitig hindurchleitet.
Ein paar Meter weiter liegt auf dem Kerbschen Berg ein ehemaliges Franziskanerkloster. Heute ist das Kloster ein katholisches Bildungs- und Familienzentrum. Im 30-jährigen Krieg hatte Dingelstädt sehr viel Glück, erzählt eine Legende. Das Pferd eines schwedischen Reiters scheute vor der Wallfahrtskirche „Maria im Busch“ und beim Ausschlagen blieben drei Hufeisen in der Kirchentür stecken. Die Schweden machten dann einen großen Bogen um die Kirche und die Kinder reiten seitdem auf hölzernen Steckenpferdchen am zweiten Ostertag um die Kirche. Der Radweg führte nun durch Dingelstädt nach Silberhausen, wo ich gestartet bin.
Dann geht es weiter durch Helmsdorf, Zella, Horsmar nach Dachrieden. Zwischen Dachrieden und Reiser führt der Radweg nun durch einen Wald, der mit zahlreichen Schnitzfiguren aufgehübscht wurde. Das ist das Reisersche Tal oder auch Reiserscher Hagen genannt. Die Unstrut fliesst hier in einer großen Schlaufe und wird zweimal mit Viadukten von der Bahnstrecke Gotha-Leinefelde überquert.
Nach Ammern folgt nun die erste kleine Stadt des Unstrut-Radweges: Mühlhausen. 19 Mühlen soll es hier mal gegben haben. Ich hatte den Schultaschenrechner SR-1 nicht und auch nicht den KC 85. Die wurden mal hier hergestellt. Mein Versuch auf den städtischen Holperpflaster irgendwelche Sehenswürdigkeiten zu finden, scheiterte leider am fehlenden Touristenleitsystem. Nur die Marienkirche fand ich aufgrund ihrer Größe.
Weiter ging es durch Görmar und Bollstedt nach Altengottern, wo man transportable Toiletten herstellt. Ich hätte gedacht das liegt in Russland. Dann ging es über Thamsbrück nach Bad Langensalza. Ich machte eine Abstecher ins Stadtzentrum und sah mir die alte Stadtmauer an. Die Stadtmauer von 1365, früher mit 24 Wehrtürmen und 7 Toren, ist größtenteils noch erhalten. Es gab Würstchen und Cola.
In Bad Langensalza gibt es den Rosengarten, ein Arboretum, einen botanischen Garten, einen Magnoliengarten, einen Travertingarten und einen japanischen Garten. Und es gibt Zwergenhausen! Erika und Rüdiger Mamat haben in ihrem Vorgarten an der Stadtmauer eine Unzahl von Gartenzwergen und anderen Figuren aufgestellt. Schlagzeilen macht Zwergenhausen aber wegen Diebstählen und Entführungen. Verdächtigt wird die „Front zur Befreiung der Gartenzwerge“.
Die letzten 40 Kilometer bis Sömmerda machte ich nochmal ordentlich Tempo. Es ging durch Nägelstedt, Großvargula, Herbsleben, Gebesee, Ringleben. Auf der Straße von Ringleben nach Haßleben, mit einer ekligen Steigung, gab es dann ein kleines lustiges Wettrennen. Zuerst kam der Traktor in Ziel. Dann Schnuffi. Ich war Dritter.
Nun bog der Radweg nach Norden ab und führte über Werningshausen, Wundersleben und Schallenburg nach Sömmerda. Im Hotel Erfurter Tor fand ich Unterkunft. Ziemlich teuer, aber in der Pension, in der ich vorher war, war niemand da. Trotz zahlreicher Steigungen ist es eine 100-Kilometer-Etappe geworden.
Am zweiten Tag sah ich mich noch ein wenig in Sömmerda um. Der große Sohn der Stadt ist Johann Nikolaus Dreyse. 1814 gründete er mit dem Kaufmann Kronbiegel die Fabrik Dreyse und Collenbusch zur Herstellung von Eisenwaren. Gebaut wurden dort aber Gewehre. 1827 entwickelte Dreyse das Zündnadelgewehr das mit Schwarzpulverpapierpatronen (Zündnadelpatronen) funktioniert.
Der Radweg führte im Westen der kleinen Stadt entlang der Unstrut nach Norden. Ich war gegen 9.00 Uhr losgefahren und radelte gemütlich durch Leubingen, Griefstedt, Büchel, Etzleben, Gorsleben nach Sachsenburg. Da gab es zum Morgen viel Natur und Zeit zum abschalten. In Sachsenburg gibt es die obere Sachsenburg, die im 13. Jahrhundert entstand, die untere Sachsenburg, die 1132 erstmals urkundlich erwähnt wurde, und die 12-Bogen-Brücke die 1974 erbaut wurde. Die Brücke überspannt einen 1,3 Kilometer langen Polder, der dem Hochwasserschutz dient.
Ein paar Kilometer weiter biegt der Radweg nach rechts ab und führt nach Heldrungen. Dort gibt es eine beeindruckende Wasserburg – die Festung Heldrungen. Die Brücke über den ersten Wassergraben wird von zwei kampfbereiten Schwänen bewacht, dann folgt der Eingang mit zwei mächtigen Rundtürmen. Nach dem zweiten Wassergraben gibt dann ein Schloss von 1519 – heute Jugendherberge und Cafe. Die Gräben, Bastionen und Rondelle stammen von 1668. Auf dieser Festung wurde der Bauernführer Thomas Müntzer bis zu seiner Hinrichtung gefangengehalten und gefoltert.
Ich fuhr über Bretleben und Reinsdorf nach Artern. Dabei unterquerte der Radweg zweimal die Autobahn A71. Zuerst mit einem kleinen Seitenkanal, dann mit der Unstrut. Artern ist eher uninteressant. Es gibt einen Salinepark mit alten Bäumen. Am Ortsausgang trifft der Radweg dann auf die Bahnstrecke Sangerhausen–Erfurt, die dort die Unstrut überquert. Auf der Vorgängerbrücke die nebenan noch da steht, kann man in die Stadt radeln. Dahinter überquert noch eine Straßenbrücke die Gleise.
Drei Kilometer südöstlich gibt es in Ritteburg eine Schleuse zu bestaunen. 1794 wurde die Schleusenanlage errichtet und 1883 erstmals erneuert. 2001 wurde die gesamte Anlage erneuert und im Zustand von 1883 rekonstruiert. Die Schleuse Ritteburg muß, als einzigste an der Unstrut, per Hand mit Muskelkraft betrieben werden. Die Unstrut und der Radweg führten nun weiter nach Südosten, durch Schönwerda, Bottendorf und Roßleben zur Landesgrenze.
Zwischen Roßleben und Wendelstein läuft die Grenze zwischen Thüringen und Sachsen-Anhalt. Der Radweg wurden von einem Asphaltweg zu einem doppelstreifigen Betonplattenweg. An dieser Stelle schob sich auch mal eine Regenwolke über den Himmel, es regnete aber nicht. Ich hatte inzwischen einen Sonnenbrand auf den Oberarmen. Das Wetter ist ja eh seltsam: der Raps, den ich überall gelb blühen sah, ist auch einen Monat zu früh dran.
Der Radweg überquert nun an einem 30 Meter hohen Gipsfelsen die Unstrut. Oben auf dem Felsen ist Burg und Ortschaft Wendelstein. Die Burg wurde 1322 erstmals erwähnt. Die ältesten Teile der vorhandenen Anlage stammen aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Die jüngsten Teile, zwei Satelliten-Schüsseln, stammen aus den letzten zwanzig Jahren. Die Auffahrt habe ich in ein Hochschieben umgewandelt.
Nach der Burg ging es wieder bergab und nach einer Rechtskurve nach Memleben. Der kleine Ort empfängt mit einer nicht sonderlich vertrauenswürdigen Brücke. Auf der anderen Seite der Unstrut befindet sich ein altes Kloster. Es stehen noch Teile einer Monumentalkirche aus dem 10. Jahrhundert und eine Krypta aus dem 13. Jahrhundert. Memleben war auch Kaiserpfalz.
Wo sich aber genau die Pfalz, also die Wohnräume des Königs, befanden ist unbekannt. Neueste Theorien verorten die Pfalz auf der Burg Wendelstein. In Memleben starben Heinrich I., er wurde dann in Quedlinburg beerdigt, und Otto I., der dann in Magdeburg beerdigt wurde. Ich lief vorsichtig zurück über die Unstrut-Brücke.
Nun ging es in einer großen S-Kurve zwischen Eisenbahn und Unstrut nach Wangen. Die Eisenbahnstrecke ist die Unstrutbahn, die von Naumburg nach Artern verläuft. In Wangen wartete ein Zug der Burgenlandbahn, die den Streckenabschnitt Wangen bis Naumburg seit April 2009 im Stundentakt befährt. Damals wurde auch der Haltepunkt Wangen eingerichtet. Nicht einfach so, dafür mußte man schon intensiv in der Erde buddeln.
Drei Kilometer nordwestlich von Wangen wurde auf dem Mittelberg in einer Steinkammer von illegalen Raubgräbern eine 3700–4100 Jahre alte Bronzeplatte gefunden. Auf dieser Platte befindet sich die weltweit älteste konkrete Himmelsdarstellung. Wangen hatte aber ein wenig Pech: gelandet ist das archäologisches Artefakt in Halle und benannt nach dem nächsten größeren Ort Nebra.
Dafür gibt es seit 2007 in Wangen die Arche Nebra. Das ist ein Besucherzentrum mit multimediale Präsentation und einem digitalen Planetarium. Auch der Krimi über die Auffindung der sogenannten Himmelsscheibe wird dargestellt – etwas ungewöhnlich. Die Architekten müssen auch ihren Spaß gehabt haben.
Nach Nebra und Reinsdorf ist am Horizont bereits die Unstruttalbrücke zu sehen. Sie gehört zur Neubaustrecke Erfurt–Leipzig/Halle, einer Eisenbahn-Hochgeschwindigkeitsstrecke. Die Brücke ist mit 2668 Metern die zweitlängste Eisenbahnbrücke in Deutschland. Die Brücke führt über die Unstrut und Dissau, zwei Landesstraßen, den Unstrut-Radweg und die Unstrutbahn. Auf der westlichen Seite der Brücke folgt der 6466 Meter lange Bibratunnel, auf der östlichen Seite der 2082 Meter lange Osterbergtunnel.
Über Wetzendorf, wo ich zwei Eis aß, und über Burgscheidungen gelangte ich dann nach Laucha. Dort gibt es am Standort der ehemaligen Glockengießerei Ulrich ein Glocken-Museum. Von 1732 bis 1911 wurden dort 5000 Glocken gegossen, die größte Glocke ist die Dreifaltigkeitsglocke im Naumburger Dom. Dreiklangsdimensionen.
Vorbei an Weischütz, der Klosterkirche von Zscheiplitz und der Mühle Zeddenbach kam ich nun nach Freyburg. Seit 1856 wird in Freyburg Sekt hergestellt, seit 1895 unter dem Warenzeichen „Rotkäppchen“. Heute werden werden hier jährlich über 100 Millionen Flaschen Rotkäppchen-Sekt erzeugt und verkauft.
Direkt über Freyburg liegt Schloss Neuenburg. Erste Ringmauern, die noch erhalten sind, stammen aus dem Jahr 1090. Um 1180 wurde eine Doppelkapelle mit außergewöhnlichen Verzierungen errichtet. Als ich vorbeifuhr wurde gerade die Sonderausstellung „Das Jagdschloss Neuenburg und ‚was ich zu Freyburg gepürscht‘ – der Herzog auf der Jagd!“ in der Kernburg und im Bergfried „Dicker Wilhelm“ eröffnet. Von 1656 bis 1763 diente Neuenburg als Jagdschloss für die Herzöge von Sachsen-Weißenfels und Kurfürst Friedrich August II., heute kann man auf Schloss Neuenburg heiraten.
Der Radweg führt dann ab Großjena wieder direkt an der Unstrut entlang. Hier ist auch Wohnhaus und Weinberg eines Künstlers zu sehen: Max Klinger. Der Leipziger hatte sich 1903 den Weinberg gekauft. 1920 starb er und wurde auf seinem Weinberg beerdigt. Heute ist dort eine Gedenkstätte mit einer Plastik. Der Bildhauer Johannes Hartmann kümmerte sich um seinem Nachlass. Dazu gehörte auch die Witwe.
Der übernächsten Weinberg ist der Steinauer-Weinberg. Der gleichnamige Hofjuwelier aus Naumburg hatte 1722 die Idee ein 200 Meter langes Relief in den Fels zu schlagen. Das „Steinerne Album“ zeigt Szenen aus dem Alten Testament die mit der Arbeit im Weinberg zu tun haben und den Herzog Christian von Sachsen-Weißenfels, zu dessen zehnjährigen Thronjubiläum das Werk entstand.
Nun gelangte ich zum Ziel meiner Reise: der Mündung der Unstrut in die Saale. Da ich den Saale-Radweg im Jahr 2013 gefahren bin, kannte ich den Ort bereits. Damals fuhr aber keine Fähre über den Fluß. Diesmal setzte ich für 1.50 Euro mit drei anderen, leicht betrunkenen, Radfahrern auf die andere Seite über.
Die Fähre Blütengrund ist eine Gierseilfähre, in der Variante Rollfähre. Das Seil hängt nicht in der Flußmitte, sondern ist quer über die Saale gespannt und das Boot hängt mit einer Rolle daran. Durch die Stellung des Ruders wird die Fähre dann durch die Strömung zur jeweiligen Flußseite getrieben.
Auf der anderen Seite der Saale liegt Naumburg. In Naumburg kaufte ich schnell eine Fahrkarte und kriegte grade noch die RegioBahn nach Weißenfels, die mit leichter Verspätung 18.00 Uhr abfuhr. Dort stieg ich um, in eine RegioBahn zum Leipziger Hauptbahnhof, wo ich 19.10 Uhr angelangte. Nach kurzem Überlegen stieg ich dort in die S-Bahn, fuhr bis zum Wilhelm-Leuschner-Platz und radelte dann nachhause. Dort mußte Wundsalbe auf den Sonnenbrand.